In Europa kennt wohl nahezu jeder die beiden Hauptfiguren der bereits in den 50er und 60er Jahren vom belgischen Altmeister André Franquin erschaffenen Comic-Serie “Spirou & Fantasio”. Auch ich verschlang als kleiner Junge die Abenteuer der beiden Titelhelden, die es aus der fiktiven Kleinstadt Rummelsdorf in die ganze Welt verschlug. Als Mädchen fiel einem der Zugang in diesen weitestgehend östrogenfreien Figurenkosmos rund um den Pagenanzug tragenden Spirou und seinen Sportwagen fahrenden Reporterfreund Fantasio sicherlich schwerer. Zwar kamen darin das laut denkende Eichhörnchen Pips und sogar das wunderbare Fabeltier Marsupilami vor, es gab aber keine einzige ernstzunehmende weibliche Figur. Letztes Jahr kam nun im Carlsen Verlag der “Spirou & Fantasio”-Band “Porträt eines Helden als junger Tor” heraus. In ihm versucht der französische Zeichner Emile Bravo der rastlosen Getriebenheit Spirous eine Vorgeschichte zu geben. Psychologisch bewegt er sich dabei zwar auf dünnem Eis, das Heft ist dennoch ein Glanzlicht in der mittlerweile endlos scheinenden und nach Franquin von zahlreichen Zeichnern fortgeschriebenen Serie. Bravo schafft es tatsächlich der Figur neues Leben einzuhauchen. Gespickt mit zahlreichen Seitenhieben auf “Tim und Struppi” – die Blaupause der frankobelgischen Comic-Kultur – und auch zeichnerisch mit Anleihen bei Hergés ligne claire erzählt er liebevoll eine Geschichte in den Vorkriegswirren des Jahres 1939, in deren Lauf der noch jugendlich-naive Spirou durch die Liebe zu einer Frau zumindest politisch seine Unschuld verliert und – schwupps! – im darauf folgenden Band bereits im antifaschistischen Widerstand aktiv wird. Für November ist ebenfalls im Carlsen Verlag der nächste “Spirou & Fantasio”-Spezial-Band angekündigt. Diesmal nach einer Geschichte von Lewis Trondheim, dem umtriebigen Miterfinder der “Donjon”-Heftreihe und Zeichner der wunderbaren Comicserie “Herrn Hases haarsträubende Abenteuer”. Man darf also gespannt sein, in welche Richtung sich die Charaktere weiter entwickeln.
Passend zum Nationalfeiertag erschien auch Ende September die vierte Ausgabe der kostenlosen Jugendzeitung „Straßen aus Zucker“, in der ausführlich darüber geschrieben wird, was an Staat, Nation und Kapitalismus grundlegend nervt, und in der einige Bands und Musikprojekte gefragt werden, ob sie denn stolz auf Deutschland sind. Abgedruckt wird auch ein Interview mit Dirk von Lowtzow, Sänger und Gitarrist der Hamburger Band TOCOTRONIC, die im Laufe ihrer langen Bandgeschichte schon im Rahmen zahlreicher, politischer Aktionen Konzerte gab. Auf ihrem letzten Album “Schall und Wahn” befinden sich wieder einige grandiose, politisch konnotierte Textzeilen und Dirk steht im Interview Rede und Antwort zu Fragen der nationalen Identitätsbildung bzw. Identifikation oder zum neuen Nationalismus der Nuller Jahre.
TOCOTRONIC spielen am 22. Oktober im Münchner Backstage Werk (am selben Tag wird dort auch live das Bundesligaspiel HSV gegen den FC Bayern gezeigt). Ihr seht: Etwas besseres als die Nation finden wir überall…